Krebsvorsorge
der Zukunft: Ultrakleine Bio-Sonden sollen im menschlichen Körper
entstehenden Krebs früh erkennen. Dies könnte in einigen Jahren
sogar die Möglichkeit eröffnen, die bösartige Krankheit endlich
grundlegend zu bekämpfen
von
Dr. Joachim Eiding
Krebszellen wuchern über alle Maßen, attackieren aggressiv die
intakten Artgenossen. Anfangs verrichten sie ihr Zerstörungswerk
in aller Stille. Die israelischen Bioinformatiker um Ehud Shapiro
vom Weizmann-Institut (www.wisdom.weizmann.ac.il) in Rehovot,
Israel, dachten sich, die Zeit sei gekommen, endlich ein geeignetes
„Frühwarnsystem“ anzubieten.
Daher
entwickelten die Forscher winzige DNA-Sonden im Nanometermaßstab,
die im menschlichen Körper ein Prostatakarzinom und Lungenkrebs
erkennen und auch bekämpfen sollen (Nature, Bd. 429, Seite 423-429)
(www.nature.com) (www.wissenschaft.de/wissen/news/2400598.html).
Bisher
führten die Wissenschaftler ihre Experimente außerhalb lebender
Zellen in Petrischalen und ähnlichen Reaktionsgefäßen im Labor
durch. Interessant: In einen einzigen Wassertropfen passen, dank
unvorstellbar kleiner Abmessungen, etwa eine Billion solcher Kleinstroboter.
Prinzipiell handelt es sich um einen sehr kleinen Bioapparat,
der wie ein Computer funktioniert, nur statt mit Elektronen auf
biochemischer Basis. Bei der Entwicklung dieser Sonde nutzte das
Team die Tatsache aus, dass sich Krebs im Körper durch bestimmte
Boten-RNA (m-RNA) verrät: Manche Gene sind mutiert, so dass die
nach ihrem Bauplan im Körper gebildeten Stoffe ihre Aufgabe nicht
mehr korrekt erfüllen können. Teile dieser Proteine liegen dann
in einer zu niedrigen Konzentration vor, wenn der Bildungsprozess
gestört ist. Andererseits können die Stoffe auch in einer zu großen
Menge existieren, wenn ihr Abbau nach erledigter Arbeit ins Stocken
gerät. Beides kann die normale Zellfunktion aus dem Gleichgewicht
bringen.
Der erste Schritt, um aus einem Genabschnitt ein körpereigenes
Eiweiß zu generieren, besteht darin, eine Kopie der DNA-Daten
als so genannte Boten-RNA herzustellen. Dies geschieht immer wieder
in jeder Zelle. Um den genetischen Auslöser für die beiden Krebsarten
nachzuweisen, brauchen die Forscher also nur die m-RNA aus entsprechenden
Körperzellen zu entnehmen und auf krebsfördende Eigenschaften
zu prüfen. Liegen diese bei der Mehrheit aller RNA-Moleküle vor,
schaltet dieser kleine Biomechanismus in den Sonden von „Null“
auf „Eins“ und deutet somit auf eine Krebserkrankung. Jede der
vielen DNA-Kleinstcomputer nimmt sich dabei ein ganz bestimmtes
m-RNA-Molekül vor. Die konkrete Zuordnung, welche Biosonde auf
welches dieser Moleküle trifft, geschieht zufällig. So analysiert
jeder einzelne „Mikro-Rechner“ dann selbstständig „sein“ RNA-Teilchen
und erzeugt eine Ja-Nein-Entscheidung. Aus der Gesamtheit aller
Antworten ergibt sich die Krebsdiagnose.
ZT: Der Code der Basenfolge entscheidet
Anfangs injizierten die Bioinformatiker die Krebszellen in einer
Testlösung mit den Mikrosonden. Damit lösten sie folgende Prozessschritte
aus: Zu Beginn der Analyse gelangt ein Boten-RNA-Molekül, das
die genetische Information mit den potenziellen Krebsmerkmalen
trägt, in die kleine Bio-Apparatur. Dort warten schon so genannte
Kodierungsmoleküle, die aus einem kurzen Doppelstrang von DNA
und einem überstehenden Einzelstrang – dem so genannten „klebrigem
Ende“ (sticky end) – bestehen. Diese scannen die eingegebene RNA
auf die krebsspezifische Sequenz der Nucleinsäure-Basen Adenin,
Cytosin, Guanin und Thymin, suchen auf diese Weise, ob ein Defekt
vorliegt oder nicht. Wobei diese „Wächtermoleküle“, die die Forscher
eigens synthetisieren müssen, pro untersuchtem Gen in zwei Versionen
existieren: eines für den Fall, dass ein Krankheitssymptom vorliegt,
und jenes für den „Nein-Fall“. Je nachdem, welches der zwei bereitstehenden
Kodierungsmoleküle sich passgenau an klebrigen Ende der RNA anlagert,
entscheidet der Biomechanismus, ob ein Defekt vorliegt.
Das Kodierungsmolekül übersetzt das Ergebnis in einen spezifischen
„Basencode“, der sich auf diesem Molekül befindet. Die Codes derjenigen
Wächtermoleküle, die sich zuvor an die m-RNA angeheftet haben,
tragen die auswertbaren DNA-Informationen, in welchem Genabschnitten
welche Defekte vorkommen. Anschließend passieren diese genetischen
Daten schrittweise einen speziellen DNA-Doppelstrang, der als
„Diagnose-Molekül“ dient und von den Forschern speziell für die
Sonde synthetisiert wurde. An den beiden Kettenenden dieses Moleküls
sind zwei wichtige Fragmente angebracht: Auf der einen Seite ein
Einzelstrangüberhang (sticky end), dessen spezielle Basenfolge
komplementär zur „Ja-Kodierung“ ist. Damit können dort weitere
Kodierungsmoleküle mit entsprechender genetischer Information
anlegen. An seinem anderen Ende trägt das Diagnose-Molekül einen
„Hairpin-Loop“ – eine Schleife in Haarspangenform. Sie verhindert,
dass sich dort unerwünschte Reaktionspartner anlagern können.
Darüber hinaus bietet diese Schleife einen geeigneten Platz für
die krebsbekämpfende Arznei.
ZT: Die Antwort „Ja“ setzt die Arznei frei
Pro Gen trägt diese DNA wiederum eine charakteristische Basensequenz,
die im Fall einer positiven Entscheidung vom Kodierungsmolekül
einfach „abgebissen“ wird. Auf diese Weise wird das Diagnose-Molekül
schrittweise kürzer, bis schließlich nur noch die Schleife übrig
ist. Deren Basenfolge lässt sich unmittelbar nutzen, um als Medikament
zu wirken und an eine krankhafte Boten-RNA zu binden. Somit verhindert
dieser „Arznei-DNA-Abschnitt“, dass aus krankhaft veränderter
Boten-RNA Eiweiße wie beispielsweise das MDM2-Protein aufgebaut
werden, das aggressives Zellwachstum fördert.
Damit aber das Kodierungsmolekül genau an die Diagnose-DNA „andocken“
kann, müssen die beiden „sticky ends“ zusammenpassen. Dabei bilden
sich zunächst bei der so genannten Hybridisierung zwischen den
Wasserstoff- und Sauerstoffatomen komplementärer Basen Wasserstoff-Brücken,
schwache chemische Bindungen. Im nächsten Schritt schweißt das
Enzym Ligase beide Biomoleküle zusammen, in dem es kovalente Phosphodiester-Bindungen
zwischen der freien 5-Phosphatgruppe und der freien 3´-Hydroxylgruppe-Gruppe
der Desoxyribose fördert. So kommt es zu einem verlängerten DNA-Strang.
Diese festen Bindungen sind für den weiteren Ablauf des Verfahrens
notwendig, da noch ein zweites Enzym beteiligt ist: das Restriktionsenzym
FokI. Beide Biokatalysatoren arbeiten nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip.
Weil das Enzym die charakteristische Basenfolge GGATG auf dem
Kodierungsmolekül erkennt, setzt es sich dort fest. Das Ferment
hat die Aufgabe, die zusammengeschweißte DNA-Einheit wieder zu
spalten. Dies macht es aber an anderer, fest definierter Stelle
des Doppelstrangs. So schneidet es weiter hinten, dass wieder
ein neues „sticky end“ entsteht. Dieses Ende ist dann durch eine
Basenfolge charakterisiert, die wiederum komplementär zur Ja-Information
eines anderen Kodierungsmoleküls ist. Somit setzt sich dieser
Kettenprozess weiter, so dass nach und nach alle abzuprüfenden
Gendefekte der Boten-RNA am Diagnose-Molekül zur Auswertung gelangt
sind. Hätten es die Forscher bei der Hybridisierung gelassen,
könnte das Schneide-Enzym nicht arbeiten und die Kette wäre nach
dem ersten Schritt abgebrochen.
Normalerweise gibt es zwei Möglichkeiten, wie der Prozess enden
kann: Erstens, wenn alle Kodierungsmoleküle mit einer Ja-Kodierung
mit dem Diagnose-Molekül reagieren konnten, so dass dieses bis
auf die Schleife abgebaut wurde. Hier sagt die Sonde „Ja“. Zum
anderen, sobald ein Kodierungsmolekül, das den Basencode für einen
negativen Befund trägt, an ein überstehendes Ende angreifen will.
Da hier die sticky ends nicht passen, bleibt das Diagnose-Molekül
intakt und das Medikament im Loop verborgen, wird nicht gebraucht.
Dies bedeutet die Antwort „Nein“.
ZT: Die Gel-Elektrophorese verdeutlicht das Ergebnis
Im letzten Schritt der Krebsanalyse geben die Wissenschaftler
die Diagnose-Moleküle aller eingesetzten Sonden in ein gemeinsames
Elektrophorese-Gel, mit dem die Molekülmassen sehr exakt bestimmt
werden können. Hierbei nutzen Forscher aus, dass DNA-Moleküle
elektrisch geladen sind. Bei angelegter Gleichspannung wandern
die Teilchen durch die Poren des Gels zum Pluspol. Die Geschwindigkeit
ist von der Molekülmasse abhängig, so dass sich die Diagnose-Moleküle
ihrer Länge entsprechend im Gel sortiert werden. Die Stellen,
an denen sich nach Abschalten der Spannung Diagnose-Moleküle angereichert
haben, lassen sich mit einem Marker einfärben. Eine positive Krebsdiagnose
liegt dann vor, wenn sich an einem Ort im Gel, an dem kleine DNA-Fragmente
erwartet werden, eine tiefe Färbung zeigt.
Die Kodierungs-DNA, an der das Restriktionsenzym sitzt, gewinnen
die Wissenschaftler aus Israel zurück, in dem sie die Temperatur
der Bio-Sonde entsprechend regeln. Denn die meisten Enzyme sind
bei Körpertemperatur aktiv. Wird es heißer, zerfallen sie und
die DNA bleibt als stabiler Reaktionspartner erhalten. Auf diese
Weise kann sie wieder am Prozess teilnehmen. Leider hat der molekulare
Winzling bislang einen großen Nachteil: Egal, wie die Diagnose
ausfällt, arbeitet er nur ungefähr eine Stunde, dann zersetzt
sich die Boten-RNA.
Der Vorteil dieser Therapie: Die Forscher unterstreichen, sie
sei für den Menschen vollkommen schmerzfrei. Ein Patient, mit
Milliarden dieser Minirechner „geimpft“, würde vom heilenden Abwehrkampf
in seinem Körper vermutlich nichts merken. Lloyd Smith von der
University of Wisconsin in Madison, USA, beurteilt dieses Ergebnis
positiv, meint, dass sich solche Module zur Schlüsselanwendung
für DNA-Computer entwickeln könnten. Jedoch schränkt Ehud Shapiro
kritisch ein, sie seien „von einer klinischen Anwendung noch Jahrzehnte
entfernt“. Denn was im Labor bislang mit Lungen- und Prostatakrebszellen
hervorragend funktioniert, ist lange nicht geeignet für eine Anwendung
beim Menschen. Langfristig hoffen die Weizmann-Forscher jedoch,
diese Methode auf weitere Krebsarten ausdehnen zu können.
„Die Arbeit der Wissenschaftler um Ehud Shapiro leistet einen
entscheidenden Beitrag zur Entwicklung miniaturisierter biokompatibler
DNA-Computer, die Reparaturaufgaben im menschlichen Körper selbsttätig
ausführen können“, urteilt Thomas Hinze, der an der Technischen
Universität Dresden Biorechner und ihre Anwendungen in der Informatik
erforscht. „Solche DNA-Computer besitzen ein großes Potenzial
in der medizinischen Diagnostik.“
Eine neue Methode entwickelten Michal Soreni und seine Kollegen
vom Technion-Institut in Haifa, Israel (www.wissenschaft.de/wissen/news/251685.html).
Sie koppelten die Eingabe-DNA-Moleküle an einen goldbeschichteten
Chip. Dieser berührt bei jedem Rechenschritt nur die gerade benötigten
„Programm-Moleküle“. Auf diese Weise werden die zahlreichen parallelen
Rechenoperationen erst möglich. Laut Studienleiter Ehud Keinan
eignet sich sein Biocomputer vor allem für komplizierte Verschlüsselungen.
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