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Brustkrebs
Screening: Methodologische Überlegungen und Gedanken zum Mammographie-Screening,
angeregt durch die Kohortenstudie “Breast cancer mortality
in Copenhagen after introduction of mammography screening”
(BMJ 2005)
Dr. med. Karl-Heinz Bayer
Objektiv
betrachtet kann Mammographie die Sterblichkeit an Brustkrebs
in keinem Fall reduzieren, genauso wenig wie ein EKG die Herzinfarkttodesrate
reduzieren kann. Es steht lediglich zur Debatte, ob sie einen
Krebs besser erkennen kann oder nicht. Das Thema ist in den
letzten Jahren allerdings politisch hochgespielt worden, in
Deutschland besonders durch die Einführung des DMP Brustkrebs,
die unter anderem begründet wurde mit angeblich erschreckend
hohen Zahlen von Fehldiagnosen bei Mammographie und Sonographie.
Auf
diesen Themenkomplex zielen der Artikel über den Brustkrebs
in Kopenhagen 1)
und die kritische Reaktion eines Artikels aus der Ärztezeitung
vom 27.1.2005 2)
ab. Die Rate der falsch positiven Brustkrebsdiagnosen liegt
laut allen bekannten Studien beim Mammographiescreening bei
10%. Es darf leider unterstellt werden, daß der falsch negative
Befundanteil ebenso bei 10 % liegt. Im einen Fall schafft das
Screening bei jeder 10. Frau zu Unrecht Ängste über eine nur
vermeintliche Krebserkrankung, im anderen Fall wird jede 10.
Frau mit Krebs zu Unrecht beruhigt und nachhause geschickt.
Wie
bei allen Methoden für relativ seltene Krankheiten - es betrifft
0,4 % der Frauen zwischen 50 und 70 Jahren - wäre eine nennenswerte,
oder besser: aus statistischer Sicht weitestmögliche Reduktion
der Todesfälle nur zu erreichen wenn auch eine möglichst 100
%-igen Teilnahme am Screening erfolgt. Gerade die aber darf
man weder bei den Frauen, noch bei den politisch Verantwortlichen
als durchsetzbar ansehen; die Vorsorge ist leider das Stiefkind
im Gesundheitswesen. Diese Art der Vorsorge wäre kaum noch
zu bezahlen – von 170 Millionen Euro pro Jahr in Deutschland
spricht die Ärztezeitung. Und selbst wenn man das Geld gewillt
wäre auszugeben, würde sich die Mortalität allenfalls um 25
% reduzieren lassen, das heißt, selbst der höchst mögliche Einsatz
an Screening würde
75
% der Frauen nicht vor dem Krebstod bewahren. Von den 40.000
mammographierten Kopenhagener Frauen sind 0.4 % oder ca.
160 Fälle Brustkrebs gewesen. 25 % davon sind 40 Fälle. 4
Frauen pro Jahr sind wohl im besten anzunehmenden Fall durch
das Mammograpie-Screening dem Krebstod entgangen. Aber: 12 pro
Jahr konnte man, obwohl sie richtig diagnostiziert wurden, nicht
retten . Und weitere 4000-160 = 3840 nicht betroffene
Frauen pro Jahr haben sich zusätzlich mammographieren lassen
müssen, um diese 4 betroffenen Frauen überhaupt finden zu können.
Die Diskussion um das Für und Wider der Strahlenbelastung und
des Strahlenkrebses für diese nicht betroffenen Frauen soll
nur erwähnt werden.
Diese
Überlegungen setzen allerdings voraus, daß es tatsächlich stimmt
und 25 % der Krebstodesfälle vermeidbar wären, alleine durch
das Mammographiescreening. Die früheren Studien aus anderen,
überwiegend skandinavischen Ländern
3-9)
haben hier Zweifel geweckt. Es besteht der Verdacht, daß Faktoren
wie das Individualverhalten oder regionale Abweichungen statistisch
ebenso bedeutend oder bedeutender sind als die Bereitschaft,
an Screening-Programmen teilzunehmen
10,
11 ).
Diese Zahlen gehen auch davon aus, daß die anschließende Krebsbehandlung
bei allen Frauen gleich erfolgreich war. Es werden aber keineswegs
Vergleiche angestellt, ob die regionalen und individuellen Unterschiede
in den Mortalitätsraten nicht auch Ausdruck sind besserer oder
schlechterer regionaler Behandlungsorte und Behandlungsmethoden,
oder bespielsweise der individuellen Zustimmung oder Ablehnung
gegenüber bestimmten Methoden anzurechnen ist.
Es
gibt Hinweise darauf, daß die vorgelegten Zahlen falsch sein
können. Schon der Titel "breast cancer mortality
in Copenhagen after introduction of mammography screening"
offenbart, daß der Wunsch hier der Vater des Gedankens ist.
So
schreiben die Autoren unter dem Absatz "statistical analysis",
daß es ihnen zunächst nicht möglich war, aus den sehr wohl feststellbaren
regionalen Unterschieden und Modetendenzen ( time trends ) den
Effekt der Mammographie herauszurechnen. Sie haben hier einen
Umrechnungsfaktor eingesetzt in der Überlegung, einem rechnerischen
Bias-Fehler entgehen zu können. Dieser Ansatz ist nicht ungefährlich,
denn es ist der Versuch, bestehende Neigungen, die nicht herausrechenbar
sind, doch irgendwie herauszurechnen.
Sicherlich
falsch und unwissenschaftlich ist es , die Risikominderung für
den Krebs in Prozenten von Prozenten anzugeben und das ein relatives
Risiko zu nennen 12).
Die Autoren schreiben zwar, die Statistik bewege sich weit im
Bereich der Irrtumswahrscheinlichkeit und die Streuung sei sehr
groß. Sie vergessen dann aber, daß die Irrtumswahrscheinlichkeit
und Streuung noch mehr beim relativen Risiko gelten. Ein 25
%iger Rückgang in einer Gesamtzahl von von 0.4 % ist in Wahrheit
ein 0.1 %-iger Rückgang der Krebsmortalität bei nach wie vor
unverändert 5 % Irrtumswahrscheinlichkeit. Selbst wenn 25 %
schöner klingen, der rechnerische Benefit beträgt deutlich unter
einem Zehntel des statistischen Irrtums. Zwar lassen sich durch
Taschenspieltricks relative Risiken errechnen, der statistische
Irrtum läßt sich aber nicht relativieren. Solche Rechnereien
sind wissenschaftlich wertlos
13)
.
Aber
auch in anderer Hinsicht ist die Studie methodologisch angreifbar.
Es geht um die Frage des Aussortierens vor der Kohortenbildung.
Insgesamt wurde fast ein Drittel der in Frage kommenden Frauen
aussortiert. Da keine Aussagen über diesen Personenkreis vorliegen,
vergrößert sich die Irrtumswahrscheinlichkeit. Die Frage, ob
die Studienaussage tatsächlich verbindlich auf die Gesamtbevölkerung
übertragbar ist, stellt sich zwangsläufig. Daß auch die bereits
an Brustkrebs erkrankten Frauen ausgeschlossen wurden ist zwar
konsequent, denn bei diesen Frauen kann die Mammographie nicht
mehr nützlich sein. Andererseits soll auch beachtet werden,
daß diese Frauen den Anteil der Frauen, die keinen Nutzen haben
aus dem Mammographie-Screening, sehr wohl hebt. Das Screening
nützt sowohl den 75 % der von ihr erkannten und nicht therapiebaren
Frauen nichts, als auch den schätzungsweise ebenso vielen Frauen,
die zum möglichen Zeitpunkt der Mammographie bereits durch andere
Verfahren als krebskrank diagnostiziert sind. Zu denen addieren
sich die Frauen, die von der Mammographie falsch negativ eingestuft
werden und folglich einer Therapie nicht zugeführt werden.
All das relativiert den Nutzen der Methode sehr.
Kritisierbar
ist auch die Art der Kontrollgruppenbildung. Die Studie wird
dadurch künstlich.
Das
Kopenhagen gegen den Rest Dänemarks gestellt wurde, hat bereits
ungleiche Kohorten geschaffen, denn Kopenhagen ist a) städtisch
und b) weist es als Hauptstadt sicher eine andere medizinische
Infrastruktur auf als die eher ländlichen Vergleichsgruppen.
Ob sich das positiv, negativ oder garnicht auswirkt, wird erörtert,
und es sind offensichtlich so viele Differenzen da, daß es den
Autoren notwendig wurde, einen "correction factor"
einzuführen.
Mit
einer gewissen Ratlosigkeit steht man so vor dem Phänomen, daß
die Krebsmortalität zu Beginn der Studie in Kopenhagen signifikant
höher war als im Restdänemark. Ist das Ausdruck eines statistischen
Fehlers oder Ausdruck einer vorbestehenden Unterversorgung Kopenhagener
Frauen? Wenn das zweite zutrifft, ist die Umkehr der Mortalitätsstatistik
gegen Ende der Studie womöglich nichts weiter als ein Ausdruck
dafür, daß Kopenhagen durch die Verwendung der Mammographie
auf anderem Weg zu einem ähnlich hohen Standard wie das übrige
Dänemark gekommen sein mag.
Aber
nicht nur deshalb stellt sich die Frage, ob man das Mammographiescreening
zur Senkung der Krebsmortalität propagieren soll.
Sie
ist teuer, sie verlangt nach einer fast 100-%igen Beteiligung
um überhaupt einen Effekt zu zeigen und sie ist behaftet mit
einer unbefriedigend hohen Rate falsch positiver und falsch
negativer Ergebnisse. Bevor man die Mammographie als Goldstandard
in Erwägung zieht, müßte sie sich einem echten Vergleich stellen
zu Alternativen wie der Sonographie und sogar der Palpation.
Bekanntlich werden immer noch die meisten Mamma-Karzinome von
den Frauen selbst erstertastet. Historisch hat sicherlich das
Erlernen des Selbsttastens von Knoten in der Brust den größten
diagnostischen Sprung gebracht.
Die
Sonographie scheint - insbesondere in den Händen von weniger
Geübten - eine etwa doppelt so hohe Fehlerdiagnoserate aufzuweisen
wie die Mammographie. Aber selbst das macht sich statistisch
nicht so sehr bemerkbar, wie es auf den ersten Blick scheint.
Bei der Mammographie werden etwa 90 % der Krebse erkannt, bei
der Sonographie sind es etwa 80 %. Im einen Fall werden 10,
im anderen 20 Prozent der Krebse übersehen. Auf die Kopenhagener
Zahlen übertragen heißt das, die Mammographie hat schätzungsweise
40 der 160 Todesfälle verhindert, mutmaßliche 4 weitere Krebsfälle
wurden übersehen. Ein Screening mittels Sonographie hätte von
den 44 Krebsfällen 36 erkannt und 8 übersehen.
Diese Zahlen gelten unabhängig von den 5 % Irrtumswahrscheinlichkeit,
denn auch in der Betrachtung an Einzelfällen kann man sehr wohl
sehen, daß beide Verfahren Fehlerquoten haben und man kann feststellen,
daß die Mammographie eine höhere Trefferquote hat. Man muß offen
diskutieren, ob dieser Unterschied den hohen Aufwand und die
hohen Kosten rechtfertigt, zumal alle Zahlen wegen der statistischen
Mängel mit großer Vorsicht zu betrachten sind. Ich denke, der
Artikel in der Ärztezeitung liegt näher an der Wahrheit. Es
dürfte stimmen, daß "Propaganda mit der Angst" getrieben
wird.
Was
man den Frauen raten sollte? Kein screenig! Zunächst den Brustkrebs
als relativ seltene Krankheit einstufen, eine allerdings, bei
der man nachtasten kann und nachtasten soll. Das soll erlernt
und gefördert werden.
Die Mammographie sollte als gezielte zweite Methode bei bestehendem
Verdacht eingesetzt werden. In diesen Fällen fallen auch die
10 % Fehldiagnosen nicht so sehr ins Gewicht, denn a) werden
die Frauen mit pathologischen Tastbefunden engmaschig mammographiert,
so daß Fehler sich ausmerzen und
b) verzeiht man bei einer indizierten Mammographie sicherlich
einen Eingriff aufgrund einer falsch positiven Befundung eher,
als wenn er ohne vorausgehenden Anlaß nur durch eine Screening-Maßnahme
erfolgt.
Dr.Karlheinz
Bayer, Bad Peterstal, 29. Januar 2005 (
www.aerztekammer-bw.de/ortenau
)
1)
AH Olsen, Sisse H Njor I Vejborg,
W Schwartz, P Dalgaard et al.
Breast
cancer mortality in Copenhagen after introduction of mammography
screening: cohort study BMJ
2005;330:220 (29 January)
2)
Mammographie-Screening - die Propaganda
mit der Angst Ärztezeitung vom 27.1.2005
http://www.aerztezeitung.de/docs/2005/01/27/014a0101.asp?cat=/news
3)
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4)
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11)
Olsen O, Gøtzsche PC.
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12)
R Kürzl, Evidenzbasierte Mißverständnisse
beim Mammakarzinom Deutsches Ärzteblatt
(Heft 36-2004) Jg.101:
A2387-2390
12)
W Krämer So lügt man mit Statistik
Campus Verlag 1992
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