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Wissenschaftsjournalist
Dr. Kubitschek zum Thema Vorsorgeuntersuchung auf Prostatakrebs
mit Hilfe der PSA-Untersuchung (Stand 2009)
Hü
und Hott mit tödlichen Folgen?
PSA-Test
und die übliche rektale Untersuchung auf Prostatakrebs bieten
im Zuge der Screening-Untersuchung bestimmter Altersgruppen
auf Prostatakrebs keinen Überlebensvorteil
Von Dr. med. Jochen Kubitschek (Mai 2009)
Friedrich Schreiber (der Name, wurde von
der Redaktion verändert) fühlt sich von seinem behandelnden
Arzt und den Medien verraten und verkauft. Da sein Vater im
Alter von nur 64 Jahren an einem metastasierenden Prostatakrebs
gestorben ist, möchte Friedrich Schreiber in Sachen Krebs-Früherkennung
unbedingt das Richtige tun. Doch was ist „richtig“?
Sein
Hausarzt hatte ihn kürzlich zu einem Urologen überwiesen
der aufgrund der familiären Belastung zu regelmäßigen Früherkennungs-Untersuchungen
riet, die neben der digitalen Austastung des Enddarmes auch
die seit Jahren empfohlene Bestimmung des Prostata-spezifischen-Antigens
(PSA) einschließt. „Kaum hatte ich mir einen entsprechenden
Untersuchungstermin geben lassen, las ich in einer überregionalen
Zeitung, dass beide Untersuchungen angeblich nicht dazu beitragen,
die Überlebenszeit von
Oberflächenmodell
von PSA mit Substratfragment nach PDB 2ZCK
Bild:
WIKIPEDIA
Prostatakrebs-Patienten
zu verlängern“, erzählt Friedrich Schreiber. Ähnlich
verwirrende Erfahrungen wie der 57jährige Computerexperte machen
viele Männer und versuchen dann gerne das ganze Problem zu verdrängen.
Doch diese „Vogel-Strauss-Politik“ ist keine gute
Lösung.
Prostatakrebs ist auch in Deutschgland und der Schweiz ein ernstes
Problem
Wie
in vielen Ländern stellt das Prostatakarzinom auch in Deutschland
und der Schweiz ein Gesundheitsproblem ersten Ranges dar, das
in den kommenden Jahren im Zuge der zu erwartenden weiteren
Überalterung der Bevölkerung zusätzlich an Bedeutung gewinnen
wird. Derzeit erkranken 8% der Schweizer an diesem bösartigen
Tumor und 3% sterben an ihm. Eine wirkliche Heilung ist nur
dann möglich, wenn der Prostatakrebs in einem Stadium entdeckt
wird, in dem er auf die Vorsteherdrüse begrenzt ist.
Also
doch ein eindeutiges Signal für eine möglichst frühzeitige und
engmaschige Durchführung der
Krebs-Früherkennungsuntersuchungen
? Leider nein.
Wissenschaftliche Untersuchungen haben
in der Vergangenheit nämlich gezeigt, dass bei Männern über
50 Jahren in der Prostata in 40% der Fälle Krebszellnester gefunden
werden. Gleichzeitig wissen die Experten, dass nur jeder fünfte
dieser Männer – das sind 8% der männlichen Bevölkerung
– später an Prostatakrebs erkranken und nur 3% (in der
Schweiz sind es pro Jahr 1.500 Männer) schließlich an der Krankheit
sterben. Das bedeutet, dass die Mehrzahl dieser vorhandenen
Krebszellnester entweder wieder von selbst verschwindet, oder
aber in den kommenden Jahren und Jahrzehnten so langsam weiter
wachsen, dass die betroffenen Männer irgendwann in einem hohen
Alter mit,
aber nicht an
ihrem
Prostatakrebs sterben werden.
Screening führt zu überflüssigen Operationen mit dramatischen
Nebenwirkungen
Würden
also bei einem lückenlosen Screening jene 40% der Männer als
„krank“ identifiziert und radikal operiert, dann
wäre dies bei 32% der Männer eine medizinisch überflüssige Operation
gewesen. Wenn sich unheilbare Optimisten nun aber auf
den Standpunkt stellen, dass es besser sei, eine Operation zu
viel als eine zu wenig machen zu lassen, dann ist dies keineswegs
so. Übersehen wird nämlich, dass die übliche Krebstherapie mit
vielen die Lebensqualität dramatisch verschlechternden Nebenwirkungen
behaftet ist.
Wer
sich einem Urologen zwecks Entfernung der erkrankten Prostata
ausliefert, musste bisher in 25% der Fälle damit rechnen, dass
er nach der verstümmelnden Operation seine Blase nicht mehr
unter Kontrolle haben wird, bzw. sich in nahezu 100% der Fälle
Impotenz einstellt. Bei der meist gleichzeitig durchgeführten
hormonellen Behandlung (medikamentöse Kastration) kommt es außerdem
zu starken „Wechseljahrsbeschwerden“, welche die
Lebensqualität weiter vermindern. Zwar haben schonende
Operationstechniken mittlerweile das Nebenwirkungsrisiko gesenkt,
doch droht weiterhin jedem dritten Mann Harnträufeln und Impotenz.
Kein Wunder also, wenn sich so mancher Krebspatient sagt „Lieber
tot als zum impotenten Windelträger werden.“
Der
„Vater
des PSA-Tests“ hat seine Meinung unter dem
Druck der Fakten geändert
Was
trägt nun die moderne Wissenschaft zur Lösung dieses für Patienten
und Ärzte so wichtigen Problems bei?
Als Thomas A. Stamey, Urologe an der renommierten Stanford
Universität, im Jahr 1987 den PSA-Test als wichtigste
Waffe gegen den Prostatakrebs propagierte, wurden mit Hilfe
dieser Untersuchung zahlreiche weit fortgeschrittene und eindeutig
bösartig verlaufende Prostatakrebse
in einem Stadium entdeckt, in dem sie ohne den PSA-Test noch
nicht aufgefallen wären. Dadurch konnte in den ersten Jahren
wahrscheinlich vielen Männern das Leben gerettet werden. Doch
heute sieht die Angelegenheit ganz anders aus. Mittlerweile
wird der PSA-Test nach dem "Gießkannen-Prinzip" so
oft und bei so jungen Männern durchgeführt, dass selbst der
„Vater des PSA-Tests“ auf Abstand zu seiner früheren
Meinung geht.
Mittlerweile
ist Stamey nämlich der Auffassung, dass die meisten der Aufgrund
eines erhöhten PSA-Wertes operativ entfernten Vorsteherdrüsen
nicht hätten herausgeschnitten werden müssen. Waren 1987
noch 40-60% der erhöhten PSA-Werte ein Hinweis auf einen fortgeschrittenen
Prostata-Krebs, so ist diese Zahl mittlerweile auf 2% gesunken.
Heute weist ein hoher PSA-Wert nach Stameys Erfahrung in erster
Linie auf eine vergrößerte Prostata und nicht mehr automatisch
auf einen großen bösartigen Tumor hin. Und eine vergrößerte
Prostata ist bei älteren Männern ebenso „normal“
wie Haarausfall, abgenutzte Gelenke oder wackelige Zähne.
Studie
entwertet Idee der Screening-Untersuchungen
Aufgrund dieser Entwicklung verwundert
es nicht, das eine im Fachblatt Archives
of Internal Medicine veröffentlichte
und an 72.000 US-amerikanischen Armee-Veteranen durchgeführte
Studie zu einem eindeutigen Schluss kam. Es zeigte sich nämlich,
dass jene Ex-Soldaten kein geringeres Risiko hatten, an einem
Prostatakrebs zu sterben, die sich im Gegensatz zu Vorsorge-Muffeln
regelmäßig einer Früherkennungs-Untersuchung auf Prostatakrebs
unterzogen hatten. Bis zum Jahr 1999 waren 501 Patienten an
dieser Krankheit gestorben. Diesen Patienten wurde eine gleich
große Kontrollgruppe gegenübergestellt, die auch an Prostatakrebs
erkrankt und gleich behandelt worden war. Im Gegensatz zur Gruppe
der Krebstoten hatten sie ihr Tumorleiden aber überlebt. Die
Datenauswertung machte deutlich, dass sich in der Gruppe der
verstorbenen Kranken 14% einem regelmäßigen Screening mit PSA-Test
unterzogen hatten, während diese Zahl in der Kontrollgruppe
nahezu identisch bei 13% lag. Die regelmäßigen Screening-Untersuchungen
hatten also unübersehbar nicht zu dem erwarteten Überlebensvorteil
geführt – tendenziell eher im Gegenteil.
Schon
bald wird eine europäische Studie für Klarheit sorgen
Noch
bestehende Unklarheiten über Sinn, oder Unsinn der Screening-Untersuchungen
auf Prostatakrebs wird in wenigen Jahren die ERSPC (European
Randomised Study of Screening for Prostate Cancer) beseitigen.
In diesen europäischen Datenpool fließen auch Erkenntnisse ein,
die seit mehreren Jahren an den renommierten Kantonsspitälern
Aarau und Baden zusammengetragen werden. Solange
diese Frage noch offen ist, sprechen sich die meisten internationalen
Fachgremien dagegen aus, gesunden Männern im Rahmen eines Screenings
auf Prostatakrebs die üblichen Früherkennungs-Untersuchungen
unter Einschluß von PSA-Tests anzubieten.
Früherkennungs-Untersuchungen die auf individuellen Überlegungen
und der einvernehmlichen Absprache zwischen einem Patienten
und seinem Arzt beruhe können aber natürlich weiter empfohlen
werden.
Doch
wie sollen sich nun all die anderen Männer verhalten, die sich
verständlicherweise um ihre Gesundheit Sorgen machen?
Und wo liegt der Unterschied zwischen einer allgemeinen Screeninguntersuchung
und der individuellen Früherkennungsuntersuchung auf Prostatkrebs,
die auch von vielen kritisch eingestellten Urologen weiterhin
empfohlen wird? Den Unterschied machen viele kleine Details
aus, die sich der „Definitionshoheit“ des Gesetzgebers
entziehen.
Während
bei einer vom Gesetzgeber als Pflichtleistung der Krankenkassen
angeordneten Screeninguntersuchung auf Prostatakrebs lediglich
das Geburtsdatum des sich meist rundum gesund fühlenden Mannes
die ärztliche Leistung auslöst, ist bei der individuellen Früherkennungsuntersuchung
oft eine Symptom, oder ein sich aus der Familienvorgeschichte
ergebender konkreter Verdachtsfall der Auslöser des Arztbesuchs.
Selbst
leichte Beschwerden, oder eine Häufung von Krebserkrankungen
in der Familie wie sie bei Friedrich Schreiber bestand, erhöhen
aber bereits die Chance, daß möglicherweise tatsächlich
ein Prostatakrebs vorliegt. Gleichzeitig sinkt das Risiko der
riskanten Überdiagnostik.
Während
bei der Screeninguntersuchung gesunder Männer wenig Platz für
individuelle Entscheidungen und lange Diskussionen bleibt –
also bei bestimmten PSA-Werten bestimmte Folgeuntersuchungen
oft „automatisch“ empfohlen werden - kann der individuelle
Patient mit dem Urologen seines Vertrauens das weitere Vorgehen
sehr viel gezielter absprechen.
Trifft
also ein vernünftigen Argumenten zugänglicher Patient auf einen
Urologen, der aufgrund seiner ärztlichen Erfahrungen nicht sofort
zum Skalpell greifen will, so wird sich das „Patienten-Arzt-Team“
leicht auf eine abwartende weitere Beobachtung des PSA-Werts
einigen. Dadurch werden viele der einem hohen Nebenwirkungsrisiko
belasteten Folgeuntersuchungen vermieden.
Die
(werbefreie) online Enzyklopädie WIKIPEDIA zum Thema PSA-Test
hier
EAU-Positionspapier
zum Prostatakrebs-Screening
Die European Association of Urology (EAU) hat die neuesten wissenschaftlichen
Erkenntnisse aus randomisierten Screening-Studien zu Prostatakrebs
geprüft (Schröder et al, NEJM 2009).
hier (17.04.2009)
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